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Streuobst meets Forst: Was Streuobst vom Forst lernen kann
Langlebige Streuobstbäume sind das Ziel von Streuobstbewirtschafterinnen und -bewirtschaftern. Die Forstwirtschaft sammelte über Jahrzehnte wertvolle Erfahrungen, wie Bäume groß und stark werden. Streuobst-News fragt genauer nach, welche konkreten Erkenntnisse sich auf Streuobst übertragen lassen. Für ihre Zeit und Offenheit danken wir Valerie Kantelberg, Expertin für Forstwirtschaft und Streuobst, herzlich!
- Die Expertin: Valerie Kantelberg
- Ihr Fachwissen: Forstwirtschaft und Bewirtschaftung von Streuobstwiesen
- Das Interview führte: Sophia Philipp
Streuobst-News (SN): Streuobst und Forst erscheinen auf den ersten Blick unterschiedlich. Warum lohnt der Blick über den Tellerrand ausgerechnet zur Forstwirtschaft, wenn es um langlebige Streuobstbäume geht?
Weil es Bäume sind 😊.
Bäume sind in beiden Bereichen das zentrale Element. Ihre Langlebigkeit erfordert den Blick über viele Jahrzehnte hinweg. Alle Eingriffe, auch die im Umfeld, müssen das im Blick haben und die Konsequenzen über diese langen Zeiträume berücksichtigen. Die Forstwirtschaft sammelt schon seit Jahrhunderten Erfahrungen im Umgang mit Bäumen und untersucht wissenschaftlich fundiert die Auswirkungen der Bewirtschaftung. Man kann sich eine Menge ableiten, wenn man versteht, dass es sich auch beim Streuobst in erster Linie um eine Ansammlung von Bäumen dreht. Sowohl im Forst als auch im Streuobst arbeiten wir auf einen Zielbestand von 80 bis 150/200 Bäumen hin. Die einen ernten starkes, gut verwertbares Holz, die anderen Früchte.
Es ist nur die Frage, wie viel ist aus dem Forst übertragbar, ohne den Charakter einer Streuobstwiese zu stark zu verändern? Und passt das alles zur momentanen Förderstruktur?
SN: Die Forstwirtschaft legt großen Wert auf das Aufwachsen von Bäumen über Jahrzehnte. Welche forstlichen Prinzipien sind hilfreich, um Streuobstbäume vital und widerstandsfähig zu halten?
Im Forst profitieren wir von der Verwendung geeigneter Herkünfte, das heißt regional an den Standort und Klima (auch das zukünftige) angepasste Baumarten. Es gibt sogar Arten, deren Produktivität und genetische Vielfalt so wichtig ist, dass sie dem Forstvermehrungsgutgesetz unterliegen. Für alle forstlich genutzten Baumarten gibt es Wuchsgebiete und empfohlene Herkunftsgebiete. Im Streuobst und Agroforst könnte man dieses Konzept neben der Sortenwahl auch ganz besonders auf die Unterlage (= Wurzel) anwenden. Hier gibt es zwar momentan noch keine Empfehlungen, Unterlagen und Sorten aus sogenannten Wuchsgebieten zu verwenden, um die Produktivität und Klimawandelanpassung zu sichern. Aber wer weiß, die Wurzel-AG des Pomologen-Verein e.V. probiert ja schon einiges aus.
Das Baumumfeld sollten wir konsequent so behandeln, dass der Baum möglichst wenig Schäden erleidet (auch unterirdisch!). Bodenverdichtung und Nährstoffentzug führen genauso wie im Forst zu messbarem Vitalitätsverlust und Ertragseinbußen. Im Forst wird bei der Holzernte auf basenärmeren Standorten empfohlen, Kronenmaterial und Rinde auf der Fläche zu belassen. Flächiges Befahren ist schon seit Jahrzehnten verpönt und führt in gängigen Zertifizierungssystemen und der Förderung zum Ausschluss. Das Rückegassensystem schützt Boden und Wurzeln der Restfläche. Aktuell geht der Trend im Forst sogar wieder zu leichteren Raupenfahrzeugen. Übertragen aufs Streuobst würde das bedeuten, dass wir im Baumumfeld den Nährstoffentzug durch Mahd, Schnitt und Fruchtnutzung bei Bedarf wieder ausgleichen und bei der Unterwuchsbewirtschaftung darauf achten bestenfalls keine Bodenverdichtung zu hinterlassen. Und natürlich sollte die Förderung diese für die Baumvitalität notwendigen Aspekte auch entsprechend ermöglichen.
Ein gängiges Förstermotto ist „Wer streut, rutscht nicht“. Durch die Anlage von gemischten Beständen verringern Forstleute im Forst das Risiko von vorzeitigen Ernteausfällen. Die Mischung aus mehreren Baumarten und Altersklassen erhöht die Widerstandsfähigkeit des Gesamtbestands gegen Extremwetterereignissen und Schädlingsdruck. Streuobstwiesen profitieren ähnlich von der Vielfalt. Wenn verschiedene Arten, Sorten und Altersklassen auf der Wiese bzw. dem Acker wachsen, senkt das Krankheitsrisiken und Ertragsausfälle.
SN: Valerie, Du vereinst Fachwissen aus Forstwirtschaft und Streuobst. Welche Erfahrungen aus Deiner forstlichen Praxis wendest Du direkt auf Streuobstprojekte an. Welche überraschenden Erkenntnisse gewinnst Du daraus für beide Bereiche?
Das Wichtigste ist der Boden. Ich halte Bodenverdichtung gering und mähe den Aufwuchs nicht zu niedrig ab.
Wenn ich pflanze, nehme ich möglichst regionales Pflanzgut (z.B. Wildbirne, Holzapfel, Speierling, Walnuss, Esskastanie) aus der Forstbaumschule oder selbst vermehrtes. Ich achte darauf, möglichst junge Bäumchen ohne Wurzeldeformationen in den Boden zu bringen. Im kleinen Stil übertrage ich inzwischen auch das Knowhow zur Saat. Gesäte Bäume muss man nicht gießen und sie überholen im Wuchsverhalten die Gepflanzten rasch. Später werden sie dann vor Ort veredelt und hochgeastet.
Eine weitere Variante, die erstaunlich gut funktioniert, ist bei Zielbäumen anfangs niedrig bleibendes Gehölz zu belassen. Bei Bedarf müssen wir natürlich die Konkurrenz entnehmen. Die Seitenäste am Stamm werden nicht so dick und sind damit gut Aufzuasten. Außerdem treibt der Seitendruck die Krone schön nach oben. Im Forst gibt es dafür ein Pflanzschema, das Nelderrad heißt. Eventuell ist das Schema mit noch niedrigeren Pflanzzahlen auch auf Streuobst und Agroforst übertragbar.
Die Artenvielfalt profitiert in beiden Systemen davon, wenn wir Mikrohabitatstrukturen und Totholz erhalten. Untersuchungen an xylobionten (Anmerkung der Redaktion: holzbewohnenden) Käfern zeigen, dass Streuobstwiesen ein Lebensraum sind, der der Zerfallsphase in Wäldern ähnelt und damit für diese Käfer besonders wichtig. Das gilt auch für andere Lebensgemeinschaften wie Vögel oder Blütenbesucher. Das versuche ich zu berücksichtigen, in dem ich neben Totholz insgesamt viele Strukturen und Blütenpflanzen belasse und auch die Bäume nicht komplett ableere, so dass die anderen Tierchen auch noch was davon haben.
SN: Was ist der beste Tipp aus dem Forstbereich, den Du Streuobstbewirtschafterinnen und -bewirtschaftern geben kannst?
Die Pflanzung nach forstwirtschaftlichen Prinzipien. D.h.: pflanze die Bäume so klein wie möglich, sodass die Wurzelschäden gering bleiben. Außerdem gilt es, die Feinwurzeln nie austrocknen lassen, da sie dann absterben. Schneide keine Wurzeln über fünf Millimeter Durchmesser ab. Im Forst verwenden wir Wurzelschutztauchungen und Pflanzeneinschläge, im Streuobst sehe ich das so gut wie nie.
Ein zweiter Punkt, über den ich oft nachdenke, ist das Offenlandklima, das auf die Einzelbäume im Streuobst einwirkt. Jeder, der durch den Wald geht, merkt das sofort. Wälder machen sich ihr eigenes Bestandsinnenklima, Bäume mögen es kühl am Stamm, Ästen und Wurzel. Wie wir hier in Unterfranken in den heißen und trockenen Jahren 2018 und 2019 erlebt haben, kollabieren stark aufgelichtete Bestände auf zu trockenen Standorten regelrecht. Das Kambium unter der Rinde wird zu heiß und die lange Trockenheit führt zu hoher Saugspannung in den Leitbahnen. Dadurch implodieren die Zellen. Bäume im Offenland sind also den Extremtemperaturen in noch höherem Maße ausgesetzt und aufgelichtete Kronen von intensiv geschnitten Streuobstbäumen vertragen das alles noch schlechter. Sonnenbrand, Obstbaumsplintkäfer und Rindenbrand haben zu hohen Ausfällen geführt. Ist es in den durch Extremereignisse ausgetrockneten Regionen überhaupt noch möglich, die Obstbaumkronen klassisch „zu durchforsten“? Was wäre, wenn wir die Pflege bzw. den Formschnitt nach forstwirtschaftlichen Prinzipien „früh, mäßig und oft“ anwenden, d.h. indem wir moderat schneiden und so die Kronen dichter halten um die Hauptäste, den Stamm und Boden zuverlässig beschatten? Was ist, wenn wir die inneren Bereiche in der Krone dicht belassen und nur noch selektiv in der Peripherie arbeiten? Oder vielleicht wählen wir besser vermehrt Obstarten und -sorten, die keinen oder nur wenig Schnitt benötigen? Wie viel Kompromiss ist möglich, ohne dass die Fruchtqualität und die Statik zu stark leidet? Wir kühlen die Streuobstwiese auch dadurch, dass wir auf Bestandsebene dichter und/oder mehrschichtig pflanzen und dadurch zusätzliche Strukturen integrieren. Dazu benötigt es aber wiederrum entsprechende Flexibilität in der Förderung.
SN: Kennst Du gute Literatur oder Quellen, wo Streuobstbewirtschafterinnen und -bewirtschafter mehr Infos aus dem Forstbereich bekommen?
Das ist eine gute Frage. Ich würde mich bei Fragen zum Umgang mit Bäumen und dem Baumumfeld an den örtlichen Förster wenden und die kostenfrei verfügbaren Waldbesitzerinformationen nutzen, wie z.B. waldwissen.net oder das Waldbesitzerportal. Bei Spezialfragen und um aktuelle Forschungsergebnisse in Sachen Klimawandelanpassung mitzuverfolgen, hilft es zusätzlich die Veröffentlichungen der Forstlichen Forschungsanstalten und Hochschulen zu nutzen. Das Amt für Waldgenetik ist besonders für Agroforstinteressierte nützlich. Forstliche Literatur gibt es eine Menge. Wer sich hier einen Überblick verschaffen möchte, nutzt den digitalen Katalog guter Forstbibliotheken an forstlichen Hochschulen oder schaut sich direkt vor Ort in einer dieser Bibliotheken um.
SN: Und zum Schluss eine Schnell-Fragerunde. Wie sieht für Dich das perfekte Produkt aus?
Wald oder Streuobstwiese?
Das Klimaxstadium (Anmerk. der Redaktion: Endstadium der natürlichen Entwicklung eines Ökosystems, das am weitesten entwickelte und stabilste Zustand, den eine Lebensgemeinschaft unter den gegebenen klimatischen und standortspezifischen Bedingungen erreicht) der meisten Landschaften ist eine an den jeweiligen Standort angepasste Waldgesellschaft. Das hat auf jeden Fall einen sehr hohen Wert, da es perfekt sehr viele Ökosystemfunktionen gleichzeitig erfüllt. Aber die halboffene Landschaft einer nach Alter, Arten und Sorten divers strukturierten Streuobstwiese verbindet ästhetische Sinnesreize mit einer hohen Biodiversität und leckeren Früchten. Es ist wie das Land der Glückseligkeit, das sogenannte Arkadien (Anmerk. der Redaktion: idealisierter, utopischer Sehnsuchtsort), finde ich.
Pflanzen oder Aussäen?
Eine Saat ist besser, da sich die Wurzel ohne Schäden durch Ausgraben und Umpflanzen entwickelt. Wenn wir mehrere Individuen säen, selektiert der Standort die geeignetste Pflanze und der Bewirtschafter wählt sich die vitalste aus. Wurzelsymbiosen bilden sich von Anfang an. Wenn möglich pflanzt man klein oder sät. Wer kein Saatgut hat oder nicht selbst veredeln kann oder möchte, sollte bei Streuobstbäumen aus der Baumschule darauf achten, dass die Wurzel einen hohen Feinwurzelanteil hat und eher jüngere Exemplare kaufen. Hochasten und die Krone formen, müssen wir ja sowieso über einen längeren Zeitraum, da gibt es genug Zeit sich entsprechend fortzubilden.
Etablierte oder neue Arten?
Beides. Regional angepasste Arten und Sorten haben die großartige Fähigkeit, sich in einem gewissen Maß an die zukünftigen Standortbedingungen epigenetisch zu akklimatisieren, da sich für sie nur ein paar Komponenten wie Temperatur oder Trockenheit ändern. Das funktioniert über Saat besonders gut. Aber es gibt auch Hinweise, dass sich Bäume während ihrer Lebenszeit phänologisch an die veränderten Witterungsbedingungen anpassen, z.B. durch kleinere Blätter als Verdunstungsschutz. Also müssten wir auch regionale Reisergärten oder von besonders vitalen, auch in Extremjahren relativ unbeeindruckt wachsenden Individuen, Reiser gewinnen.
Neue Arten sind noch nicht erforscht und es gibt nur wenig empirisches Wissen. Sie können aber, falls sie in das jetzige und zukünftige Klima passen, das Risiko noch weiter streuen. Im Forst nennen wir das „assisted migration“. Forstleute fördern bewusst Praxisanbauversuche bestimmter, ausgewählter Alternativbaumarten und begleiten diese Versuchsanbauten auch wissenschaftlich. Jedoch sollte wir beim Bezug „neuer“ Arten immer darauf achten, dass wir nicht aus Versehen neuartige Krankheiten und Schädlinge mitimportieren.
SN: Vielen Dank das Du Dein Wissen mit uns teilt!
Valerie Kantelberg Valerie Kantelberg ist Diplom-Ingenieurin für Forstwirtschaft (FH), war lange Zeit an der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft in Freising beschäftigt und ist jetzt Mitarbeiterin am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) Kitzingen-Würzburg. Sie befasste sich dort unter anderem mit Natura 2000 Management und Agroforstsystemen. Sie engagiert sich im Arbeitskreis Forstgeschichte, ist Imkerin und Zeidlerin und war Lehrbeauftragte an der Technischen Universität München im Wahlfach Bienenkunde. Sie bewirtschaftet selbst Streuobstwiesen und sie organisiert und leitet "Wiesen-Workout"-Aktionen und den Streuobst AK der Solawi Kitzingen. |