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Klimaresiliente Streuobstwiesen: Praxisleitfaden für die Zukunft
Auch wenn Streuobstwiesen oft besser mit den Folgen des Klimawandels zurechtkommen als Monokulturen, stehen doch auch sie vor immensen Herausforderungen. Zunehmende Trockenheit, höhere Temperaturen, mildere Winter und häufigere Extremwetterereignisse wie Stürme und Hagel setzen den Bäumen zu. Hinzu kommt der Wandel in der Bewirtschaftung, oft geprägt von Überalterung der Aktiven und einem Pflegedefizit. Umso wichtiger ist es, unsere Streuobstwiesen ökonomisch attraktiv und klimaresilient weiterzuentwickeln.
Genau hier setzt die neue Publikation „Design- und Managementprinzipien für klimaresiliente Streuobstwiesen & alternative Baumarten“, herausgegeben vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg, an. Die Broschüre fasst Erkenntnisse aus Forschung und Praxis zusammen und bietet Bewirtschafterinnen und Bewirtschaftern konkrete Anregungen für eine zukunftsfähige Gestaltung ihrer Streuobstwiesen. Sie dient als wertvolle Inspirationsquelle, nicht als starre Anleitung, und verweist auf weiterführende Literatur. Die Autoren, darunter Dr.-Ing. Janet Maringer und Christoph Schulz, haben ein umfassendes Werk geschaffen, das im August 2025 in erster Auflage erschienen ist.
Die Publikation gliedert sich in vier Hauptteile: Bestandsstruktur, Baumartensteckbriefe, Pflanzung und Etablierung sowie Bewirtschaftung. Wir tauchen ein in die zentralen Empfehlungen dieser praxisnahen Broschüre.

Fundamente der Klimaresilienz: Planung und Bestandsstruktur
Eine sorgfältige Planung ist der erste und entscheidende Schritt, bevor Streuobstbewirtschafterinnen und -bewirtschafter mit der Neugestaltung oder dem Umbau ihrer Streuobstwiese beginnen. Die Broschüre rät dazu, zunächst die Standortfaktoren wie Boden und Klima genau zu analysieren und das Ziel der Anpflanzung klar zu definieren – sei es Eigenverbrauch, Vermarktung oder Naturschutz. Die Anpassung des Bestandsklimas, die Verbesserung der Wasserinfiltration und -speicherung im Boden sowie die Förderung der Bodenfruchtbarkeit und von Wurzelsymbionten sind dabei entscheidende Stellschrauben.
Das Mikroklima gezielt anpassen
Um die Bäume vor den zunehmenden Witterungsextremen zu schützen, empfehlen die Autoren gezielte Maßnahmen zur Verbesserung des Mikroklimas:
- Windschutzhecken: Diese bieten vielfältige Vorteile. Sie minimieren die Windbruchgefahr, erhöhen die Lufttemperaturen um bis zu 2°C, steigern die Fotosyntheseleistung der Obstbäume und verringern die Verdunstung von Bodenwasser. Hecken fördern zudem den Humusaufbau und die Nährstoffverfügbarkeit, bieten Nahrung und Lebensraum für Insekten und liefern Biomasse für Hackschnitzel. Für die Gestaltung gilt: Streuobstbewirtschafterinnen und -bewirtschafter wählen laubhaltige, schnellwachsende und standortgerechte Arten. Die Hecken sollten 90° zur Hauptwindrichtung angepflanzt sein, der Aufbau mehrschichtig, pyramidal und bis zum Boden reichend.
- Schattenbäume: Als "Überhälter" ragen Schattenbäume über die mittlere Höhe des Obstbestandes hinaus und wirken sich positiv auf die mikroklimatischen Bedingungen aus. Sie reduzieren Bodentemperaturen, stabilisieren die Bodenfeuchtigkeit, pumpen mit ihren tief reichenden Wurzeln Wasser und Nährstoffe in oberflächennahe Schichten und erhöhen die Luftfeuchtigkeit. Dies minimiert Windgeschwindigkeiten und schützt Früchte sowie Stämme vor Sonnenbrand und Rissen. Walnuss, Esskastanie, Speierling und Elsbeere sind hierfür geeignete Arten.
Komplexe Obstanbausysteme: Vielfalt als Stärke
Die Publikation stellt komplexe Obstanbausysteme vor, die natürliche Sukzessionsprozesse nachahmen und die Vegetation in unterschiedlichen Ebenen (Schichten) aufbauen. Diese Systeme sind sehr klimaresilient. Die geschichteten Vegetationsebenen sorgen für einen graduellen Licht- und Temperaturabfall, was mehr Feuchtigkeit im Boden hält. Sie fördern Wurzelsymbiosen, schließen Nährstoffkreisläufe und bauen Humus auf. Tiefwurzelnde Bäume dienen als Nährstoff- und Wasserpumpen, während die Vielfalt an Arten und Sorten die Biodiversität erhöht und die Bestände widerstandsfähiger gegen Störungen macht. Das Risiko von Ernteausfällen sinkt, obwohl der Bewirtschaftungsaufwand steigen kann.

Die richtigen Partner im System: Baumarten und ihre Wurzeln
Die genetische Vielfalt innerhalb der Streuobstwiese ist entscheidend für ihre Klimaresilienz. Verschiedene Sorten reagieren unterschiedlich auf Klimaveränderungen, wie Trockenstress oder krankheitsfördernde Temperaturen. Die Broschüre betont die Wichtigkeit einer vielfältigen Sorten- und Baumartenwahl.
Ein eigener Teil der Broschüre widmet sich Baumartensteckbriefen. Hier finden Sie detaillierte Informationen zu bewährten und alternativen Obstbaumarten wie Apfel, Birne, Zwetschge & Co., Quitte, Aprikose, Pfirsich, Walnuss, Speierling, Elsbeere, Mispel, Maulbeere, Esskastanie, Mandel, Feige sowie Begleitbaumarten wie Erle, Pappel und Weide. Die Steckbriefe beleuchten ihre Leistungsfähigkeit, Produkte, Standortansprüche und Verträglichkeit mit benachbarten Arten. Ein besonderer Fokus liegt auf spätblühenden Obstsorten, da diese die Gefahr von Spätfrostschäden an Blüten erheblich reduzieren können.
Die Bedeutung eines starken Wurzelsystems und Mykorrhizapilze
Das Wurzelsystem der Pflanzen beeinflusst maßgeblich die Bodeneigenschaften und das Bodenleben. Tiefwurzelnde Obstbäume wie Birnen lockern tiefere Bodenschichten, verbessern die Belüftung und die Wasserinfiltration. Flachwurzelnde Pflanzen stabilisieren die oberen Bodenschichten und schützen vor Erosion. Diese Vielfalt an Wurzelsystemen erhöht die Wasserspeicherfähigkeit und transportiert Nährstoffe aus tieferen Schichten nach oben.
Eine Schlüsselrolle spielen dabei Mykorrhizapilze. Diese Pilze bilden eine Symbiose mit den Baumwurzeln, vergrößern die Wurzeloberfläche und verbessern die Aufnahme von Wasser und Nährstoffen, insbesondere Phosphor. Bäume werden so trockenheitstoleranter und weniger anfällig für Krankheiten. Bei Neuanlagen auf Äckern oder Grünland, wo oft kaum Mykorrhiza vorhanden ist, empfehlen die Autoren die aktive Einbringung von passenden Pilzen durch spezielle Gemische oder Bodenmaterial von bestehenden Streuobstwiesen.
Erfolgreiche Etablierung: Pflanzung und Begleitung
Die ersten fünf Jahre im Leben eines jungen Obstbaums sind entscheidend. Fehler in dieser Phase lassen sich später kaum korrigieren. Die Publikation gibt hier detaillierte Anleitungen:
- Gut verwurzelte Bäume: Die Broschüre hebt hervor, dass ein vollständig ausgebildetes Wurzelsystem die Wasser- und Nährstoffversorgung sichert und so zu gesunden, langlebigen Bäumen führt. Methoden zur Förderung eines starken Wurzelsystems sind der Einsatz von wurzelechten Bäumen, die Direktsaat vor Ort oder die Anzucht in Air-Pruning Töpfen oder Pflanzpatronen. Diese Methoden fördern ein dichtes, kräftiges Wurzelsystem ohne Drehwüchsigkeit.
- Pflanzzeitpunkt und Zusatzstoffe: Herbstpflanzungen sind zu bevorzugen, da die Wurzeln auch im Winter weiterwachsen. Im Frühjahr legt der Baum seinen Fokus auf den Triebzuwachs. Ur-Gesteinsmehl hilft bei der Nährstoffverbesserung, aufgeladene Pflanzenkohle bei der Wasserspeicherung und Nährstoffabgabe oder Mykorrhiza-Pilze beim Wurzelwachstum.
- Wühlmausschutz und Baumscheibenpflege: Wühlmäuse zerstören junge Bäume. Die Broschüre schlägt unverzinkte Wühlmauskörbe (die sich abbauen) oder einen Schutz aus Steinen vor. Eine gepflegte Baumscheibe von mindestens einem Meter Durchmesser um den Jungbaum herum ist unerlässlich, um Konkurrenz durch Beikräuter zu mindern, Humus aufzubauen und die Bodenfeuchtigkeit zu halten. Mulch aus fragmentiertem Laubbaum-Zweigholz ist hierfür besonders wertvoll.
- Ammenbäume: Ein Ammenbaum schützt den jungen Obstbaum vor harschen Witterungsbedingungen wie starker Sonneneinstrahlung und extremen Niederschlägen. Diese Begleitgehölze fördern zudem eine schnelle Anbindung an Mykorrhizapilze, was die Wasser- und Nährstoffversorgung des Zielbaums verbessert. Je nach Zielsetzung wählen die bewirtschaftenden Personen stickstofffixierende, schnitttolerante oder tiefwurzelnde Arten wie Erle, Pappel, Weide, Sanddorn oder Haselnuss.

Auch die Streuobstwiese braucht Nährstoffe
Obsternte, Wiesenmahd und Baumschnitt entziehen dem System Nährstoffe. Eine Bodenanalyse alle fünf bis sechs Jahre ist unerlässlich, um den Nährstoffbedarf präzise zu ermitteln. Die Broschüre gibt detaillierte Empfehlungen zur Düngung von schwer löslichen Nährstoffen im Spätherbst und Stickstoff zu Beginn der Vegetationsperiode. Auch ein Weißanstrich der Baumrinde schützt junge Bäume vor Frostrissen und Sonnenbrand.
Ein gutes Beispiel für geschlossene Nährstoffkreisläufe liefert das Praxisbeispiel Kastanienhof. Dort wird Schnittgut von Streuobstwiesen in einer Hackschnitzel- und Pyrolyseanlage zu Pflanzenkohle und Wärme verarbeitet. Die Gebäude des Hofes sind dadurch klimaneutral beheizt und der Hof vermarktet das "Abfallprodukt" Pflanzenkohle. Auch organische Reste aus der Gastronomie werden mit effektiven Mikroorganismen zu Bokashi fermentiert und der Pflanzenkohle zugeführt.
Tiere helfen bei der Pflege
Nutztiere bieten vielfältige ökologische und ökonomische Vorteile für die Pflege von Streuobstwiesen. Tiere nutzen das Grünland und düngen.
- Schafe eignen sich für trockene, magere oder steile Standorte. Sie verbeisen selektiv, daher ist eine Nachmahd oder Kombination mit anderen Tieren sinnvoll.
- Ziegen sind hervorragend für die Erstpflege verbuschter Flächen geeignet, da sie Blätter, Rinde und Gehölztriebe fressen.
- Rinder fressen Grünland nicht selektiv und reduzieren das Aufkommen von Gebüsch. Leichte Rassen sind hier ideal, um Trittschäden zu minimieren.
- Gänse und Hühner sind gute Grasverwerter und helfen bei der Unkraut- und Schädlingsbekämpfung, mit geringerem Risiko für Baumschäden.
- Schweine waren früher oft auf Streuobstwiesen. Sie fressen Fallobst (auch infiziertes), Insekten und lockern den Boden auf, sollten aber im "Umtrieb" gehalten werden, um Überweidung zu vermeiden.
- Das Konzept des Mob-Grazing mit hoher Besatzdichte für kurze Zeiträume lässt hohe Pflanzenrückstände auf der Fläche, die als Mulchschicht den Humusaufbau fördern und die Wasserinfiltration verbessern.
Zur Broschüre
Maringer, J.; Radtke, M.; Schulz, C. (2025). Design- und Managementprinzipien für klimaresiliente Streuobstwiesen & alternative Baumarten. Hsg. Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg, Stuttgart. https://www.hochstamm-deutschland.de/files/hochstamm/fachinformationen/Finales_booklet_20250819_compressed.pdf