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Handwerkliche Ciderbetriebe kämpfen für 100 % Fruchtgehalt: Offener Brief an die EU
Die Begriffe "Apfelwein" (Cider) und "Birnenwein" (Perry) verwenden Hersteller in der EU derzeit für eine Vielzahl von Getränken aus Äpfeln bzw. Birnen, die sehr unterschiedlich sind – von Produkten aus 100-prozentigem Saft bis hin zu Mischungen mit Zuckerzusatz. Eine einheitliche Definition, die für alle Mitgliedstaaten gilt, fehlt. Ein Entwurf der EU-Kommission für EU-Vermarktungsnormen für Apfel- und Birnenwein vom Dezember 2024 sieht einen Mindestsaftgehalt von 50 Prozent Apfel oder Birne (ungefiltert) für Cidre und Perry vor (wir berichteten).
Ciderbetriebe senden offenen Brief ans EU-Parlament
Ende Mai 2025 unterzeichneten 44 Ciderbetriebe aus neun EU-Staaten einen offenen Brief an die pro-europäischen Mitglieder des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI) im Europäischen Parlament. In dem Schreiben warnen die Betriebe eindringlich vor einer zu niedrigen Qualitätsschwelle – insbesondere dem derzeit diskutierten Mindestfruchtgehalt von nur 50 Prozent. Diese Definition würde handwerklich hergestellte Produkte aus 100 Prozent Streuobstsaft rechtlich gleichstellen mit industriell gefertigten Getränken auf Basis von Wasser, Konzentrat und Aromastoffen.
Offener Brief der handwerklichen ciderproduzierenden Betriebe Europas an die Europäische Kommission und das Europäische Parlament
Sehr geehrte Mitglieder der EU-Kommission Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung,
wir wenden uns an Sie als handwerkliche Cider-Produzenten aus unterschiedlichen Regionen Europas, die mit großer Sorgfalt und regionaler Verantwortung hochwertigen Cider aus Streuobst herstellen. Anlass unseres Schreibens ist die geplante Einführung einer EU-weiten Vermarktungsnorm für Cider und Perry im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 zur Gemeinsamen Marktorganisation (GMO) für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Die Europäische Kommission arbeitet aktuell an einem nachgeordneten Rechtsakt in Form eines delegierten Rechtsakts, der eine europaweite Definition und Mindestanforderungen für Cider und Perry festlegen soll. Diese Regelung betrifft unser Handwerk in fundamentaler Weise – und birgt große Risiken.
Zwar begrüßen wir grundsätzlich das Ziel, durch einheitliche Vermarktungsnormen mehr Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher und einen faireren Wettbewerb im Binnenmarkt zu schaffen, jedoch warnen wir entschieden vor zu niedrigen Standards, wie sie derzeit in den Entwürfen zur Diskussion stehen. Der Vorschlag, den Mindestfruchtgehalt für Cider auf lediglich 50 % festzulegen, orientiert sich an industriellen Praktiken einzelner Mitgliedstaaten – etwa Schweden und Dänemark – und ignoriert die realen Bedingungen und Werte der handwerklichen Erzeugung. Damit würden unsere hochwertigen Produkte aus 100 % Frischsaft und regionalem Streuobst rechtlich mit solchen gleichgestellt, die zu einem großen Teil aus Wasser, Apfelsaftkonzentrat und Aromen bestehen.
Ein solcher Standard würde die jahrhundertealten europäischen Cider-Traditionen entwerten und das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher untergraben. Besonders kritisch ist, dass ohne verpflichtende Differenzierung – etwa durch klare Kennzeichnungspflichten – eine Gleichmachung zwischen Massenware und authentischem Handwerk erfolgt. Dies würde zu einem unfairen Preis- und Qualitätswettbewerb führen, der kleine Erzeuger massiv benachteiligt und langfristig vom Markt verdrängt.
Cider hat eine lange Tradition, die über ein Jahrtausend zurückreicht. In ganz Europa wurde er sowohl von Bauern als auch vom Adel hergestellt. In Regionen, in denen der Weinanbau schwierig ist, genoss er ein ebenso hohes Ansehen wie Wein – und bis in die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde er stets aus 100 % frisch gepresstem Saft hergestellt.
Hinzu kommt, dass die wirtschaftliche Grundlage handwerklicher Cider-Betriebe untrennbar mit dem Erhalt der Streuobstwiesen verbunden ist. Diese artenreichen, extensiv bewirtschafteten Kulturlandschaften sind nicht nur von zentraler Bedeutung für die Biodiversität und den Klimaschutz, sondern auch ein anerkanntes immaterielles Kulturerbe – in Deutschland zum Beispiel durch die UNESCO. Ohne faire Marktbedingungen, die einen kostendeckenden Absatz von Streuobst ermöglichen, droht der weitere Verlust dieser wertvollen ökologischen Ressource.
Wir fordern Sie daher eindringlich auf, sich im Rahmen der weiteren Ausarbeitung des delegierten Rechtsakts auf Grundlage von Artikel 42 und 43 AEUV für eine hohe Qualitätsschwelle einzusetzen. Die Positionen von Frankreich und Spanien, welche sich für einen Mindestfruchtgehalt von 100 % über alle Apfelwein Produkte (Cidre, Cider, Sidra und Apfelwein) analog zur Weinverordnung aussprechen, halten wir für sachlich und ökologisch geboten. Cider ist – wie Wein – ein Ausdruck regionaler Identität, Handwerkskunst und nachhaltiger Landwirtschaft und verdient eine entsprechende rechtliche Einordnung und Schutz für industrieller Verwässerung.
Die Verantwortung für die Ausgestaltung dieses Rechtsakts liegt bei der Europäischen Kommission (Generaldirektion AGRI) sowie beim Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI-Ausschuss) des Europäischen Parlaments. Wir wissen, dass sich bereits mehrere Abgeordnete aktiv mit dem Thema befassen – etwa durch parlamentarische Anfragen wie P-9-2023-002545. Wir hoffen, dass weitere Mitglieder diesen Einsatz unterstützen.
Dieser offene Brief wird von zahlreichen kleinen Cider- und Perry-Erzeugern aus ganz Europa getragen. Wir danken Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und hoffen auf Ihre Unterstützung für ein starkes, qualitätsorientiertes und nachhaltiges europäisches Cider-Regelwerk.
Mit freundlichen Grüßen
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